Europas Zukunft: Mehr Allgemeinwohl wagen

Dass wir in unruhigen Zeiten leben, wird kaum mehr jemand bestreiten wollen. Die wilden Meere hupfen gerade von allen Seiten auf uns zu. Weitgehend Einigkeit besteht in der Politik darüber, dass mehr für die Verteidigung getan werden soll und die Migration zu begrenzen ist, wobei etwas unklar ist, ob inzwischen auch mehr für die Verteidigung gegen die bisherige Schutzmacht USA getan werden muss, die vom Weltpolizisten zunehmend zum Weltinkassobüro mutiert, und wie sich die Abwehr von unerwünschten Migrant:innen mit der Hoffnung auf Ingenieur:innen, Ärzt:innen und Pflegekräfte aus dem Ausland verträgt. Abschrecken und Anlocken als dialektisches Politkunstwerk?

Jahrzehntelang galten die „westlichen Werte“ als moralischer Kit der westlichen Staaten. So ganz genau wusste man nie, um was es dabei ging. Freie Wahlen, freie Presse, Rechtsstaatlichkeit auf jeden Fall, Menschenrechte immer mal wieder, aber immer mal wieder nicht ganz glaubwürdig, angesichts des Algerienkriegs, des Vietnamkriegs oder der unverhohlenen Sympathie des Westens für die mörderischen Diktaturen Südamerikas. Wie dem auch sei, die „westlichen Werte“ sind, während wir uns an immer tolleren Autos, Urlaubsreisen, Fußballevents und Gameshows im Fernsehen erfreut haben, irgendwie erodiert, sie haben an Marktwert verloren, als integrative Kraft nach innen, wie auch als „soft power“ nach außen. Nach außen gab es immer wieder regelrechte Bruchpunkte. Zu den aktuelleren gehört der Irakkrieg, ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg des USA in einer Zeit, in denen der Westen nicht durch ein konkurrierendes System in seiner Existenz herausgefordert war. Er hat womöglich Billionen (!) Dollar gekostet, und eine Million Tote. Herausgekommen ist nicht zuletzt der IS und mehr Einfluss des Iran, aber keine bessere Welt in Nahost. Ein anderes Beispiel ist das Wegschauen des Westens beim Völkermord in Ruanda mit hunderttausenden Toten. Ihre Hautfarbe war vermutlich nicht weiß genug, um die westliche Politik nachhaltig zu verändern. Es gibt Tote erster und zweiter Klasse.

Nach innen dominieren eher die Erosionsprozesse. In vielen Ländern der „westlichen Wertegemeinschaft“ haben sich die sozialen Verhältnisse nach dem Zusammenbruch der Systemkonkurrenz mit dem „real existierenden Sozialismus“ und der weltweiten Hegemonie des Neoliberalismus desintegrativ entwickelt. Die Zukunft der einen ist immer prekärer geworden, mit Phasen stagnierender Reallöhne, aber steigenden Mieten und Pflegekosten, während andere gleichzeitig unermessliche Vermögen angesammelt haben und immer ungenierter zur Schau stellen. Dazu haben in den mächtigsten Ländern der Welt, in Russland wie in den USA, Oligarchen und politische Macht eine toxische Nähe zueinander entwickelt, die der Demokratie die Luft abgeschnürt hat, bzw. in den USA gerade abzuschnüren droht. Und dass in Deutschland der Einfluss der Reichen auf die Politik zu klein ist, wird man angesichts einer unaufhaltsamen Reihe von Steuersenkungen für die mit viel Geld, der steuerlichen Ungleichbehandlung von Arbeits- und Kapitaleinkommen, der Zurückhaltung der Politik bei der Erbschafts- und Vermögenssteuer oder ihrer Nachlässigkeit bei der Verfolgung von Steuerhinterziehung oder der Verfolgung der CumEx-Straftaten auch nicht unbedingt gut begründen können.

Wie aus einer anderen Welt lesen sich dagegen unsere Verfassungstexte. Art. 151 der bayerischen Verfassung lautet beispielsweise:

„(1) Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesonders der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten.“

(2) Innerhalb dieser Zwecke gilt Vertragsfreiheit nach Maßgabe der Gesetze. Die Freiheit der Entwicklung persönlicher Entschlußkraft und die Freiheit der selbständigen Betätigung des einzelnen in der Wirtschaft wird grundsätzlich anerkannt. Die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen findet ihre Grenze in der Rücksicht auf den Nächsten und auf die sittlichen Forderungen des Gemeinwohls. Gemeinschädliche und unsittliche Rechtsgeschäfte, insbesonders alle wirtschaftlichen Ausbeutungsverträge sind rechtswidrig und nichtig.“

Oder Art. 156, der erste Satz lautet:

„Der Zusammenschluß von Unternehmungen zum Zwecke der Zusammenballung wirtschaftlicher Macht und der Monopolbildung ist unzulässig.“

Art. 157:

„(1) Kapitalbildung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Entfaltung der Volkswirtschaft.

(2) Das Geld- und Kreditwesen dient der Werteschaffung und der Befriedigung der Bedürfnisse aller Bewohner.“

Es gibt ähnliche Formulierungen in anderen Landesverfassungen. Sie sind, so heißt es im Juristenjargon, durch das Bundesrecht und das europäische Recht „überlagert“ worden. Aber das ist nur die halbe Geschichte. Die Werteorientierung, die in solchen Passagen zum Ausdruck kommt, die die Menschen in Deutschland nach der Katastrophe des Nationalsozialismus zusammenführen sollte, bestimmt sichtlich nicht mehr unseren Alltag. Manche Parteien fordern sogar bewusst eine „disruptive“ Abwendung davon in die entgegengesetzte Richtung, angeblich aus guter Absicht, um die Kräfte der Wirtschaft zu entfesseln.

Und wenn dabei die Kräfte der Menschen gefesselt werden? Wenn sich immer mehr Menschen für eine solche als „liberal“ deklarierte Gesellschaftsordnung nicht mehr erwärmen können und Sympathien für radikale Kräfte entwickeln? Sollte man nicht vielmehr die Kräfte der Menschen entfesseln, indem man ihnen durch eine allgemeinwohlorientierte Politik Perspektiven eröffnet, für die sich Anstrengung lohnt, im Betrieb, im Ehrenamt, im Falle des Falles auch bei der Verteidigung gegen äußere Aggression? Sollten wir nicht mehr Allgemeinwohl wagen, statt sogar schon Kritik an „Profitorientierung“ als systemgefährdend wahrzunehmen? Ist der Papst etwa ein Umstürzler? Er fand deutlich härtere Worte, sprach von einer „Wirtschaft, die tötet“.

Wenn man den falschen Versprechen der Populisten etwas entgegensetzen will, wird es nicht reichen, diese Versprechen als falsch zu entlarven. Viele, die ihnen nachlaufen, wissen vermutlich selbst, dass ohne Migrant:innen auch nicht mehr Wohnungen gebaut werden, die Pflege nicht menschenwürdiger wird, die Schuldächer nicht dicht oder die Bahn pünktlich. Man wird den falschen Propheten mit glaubhaften Versprechen eines besseren Lebens und konkreten, spürbaren Schritten dorthin begegnen müssen, von den Mieten bis zu den Pflegekosten, und dann Fußballevents noch dazu. Wir müssen mehr Allgemeinwohl wagen, am besten, bevor es zu spät ist!


Makroskop hat den Beitrag netterweise wieder übernommen: https://makroskop.eu/08-2025/europas-zukunft-mehr-allgemeinwohl-wagen/


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3 Antworten zu „Europas Zukunft: Mehr Allgemeinwohl wagen“

  1. Wenn wir als Westen bestehen möchten, müssen wir aufhören, unsere eigenen Notlügen, weshalb der Profit grad moralisch gut sei, zu glauben, und etwas ehrlich zu uns selbst werden.

    Der Neokolonialismus wird diesmal nicht mit dem Bombardement von Libyen und dem Töten des Staatschefs dort zu retten sein. Er wird auslaufen – sowohl wird er teilweise an die USA, Russland und China gehen, als auch gar nicht mehr weiter umsetzbar sein. Da hilft nun auch unser aktueller Stellvertreterkrieg in der DR Kongo nicht mehr viel weiter, mit dem wir versuchen, den Totalausfall durch die Föderation von Niger, Mali und Burkinafaso zu ersetzen und zudem die Coltanlieferungen für uns kostengünstig zu sichern.

    Die Idee, mit Gentechnik und den modRNA-Gentherapien die Pharmakologie zu revolutionieren, ist krachend gescheitert. Ausser Schaden ist da nicht viel gewesen, und auch nichts weiter zu erwarten. Es wird kein Internet of Bodies geben, wie es im Oligarchenclub gepredigt wird, der Invest ist zum Teufel. Es gilt jetzt, schlechtem Geld möglichst wenig gutes hinterher zu werfen, und dann den Scherbenhaufen aufzukehren, sowohl den medizinischen wie auch den, der durch den Versuch entstanden ist, dass sich auch die westlichen Regierungen totalitär gegen ihre eigenen Bürger wenden. Sie haben dadurch eine Menge Glaubwürdigkeit verloren, so viel, dass es eine neue Politik- wie Medien-Generation braucht, um das massiv verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen.

    Auch die Verengung des Umweltschutz-Themas auf den CO2-Anteil in der Luft ist krachend gescheitert. Obwohl es höchst lukrativ für einige wenige ist, weil dieses Umweltschutzthema als einziges ein Multimilliarden- und vielleicht sogar Billionen-Geschäftsmodell hat, es ist nicht mehr umsetzbar. Es gibt auch viele weitere sehr wichtige Umweltthemen, und da USAID nun als Hauptfinancier so mancher regierungsinanzierten “NGO” ausfällt, läuft die Nummer nicht mehr. Das kann auch die EU nicht eben mal kurz ersetzen, was hier wegfällt.

    Schliesslich ist mit einem Krieg gegen Russland und China nicht mehr zu rechnen. Die westliche Militärmacht, die in der Dimension sich militärisch mit den genannten Mächten als einzige auseinandersetzen kann, hat das abgekündigt. Die EU ist ein militärischer Zwerg. Sie wird jetzt nicht kurzfristig zur militärischen Grossmacht werden, das ist nur eine Illusion.

    Die EU war immer stark im Handel. Das ist und bleibt ihre Chance. Dazu sollte sie sich selbst möglichst wenig einschränken, und ihre Binnenwirtschaft möglichst wenig beschränken, um wieder bestehen zu können. Der Charme der EU waren die Lebensbedingungen für ihre Einwohner und ihre Bürger darunter. Höhere Kosten, dafür aber auch soziale Absicherung und ein ruhiges und freies Leben waren ihre Stärken. Will die EU wieder erfolgreich sein, so wird sie zu ihren Stärken zurück finden müssen, und Dinge, die dem entgegenstehen, wieder abbauen, oder sie gerät weiter in den Sturm, der sie schliesslich auseinanderbrechen lassen wird.

    Das ist viel auf’s Mal zu schlucken. Es braucht vermutlich eine neue Generation von Führungskräften in Politik und Öffentlichkeitsarbeit, um das überhaupt akzeptieren und dann umsetzen zu können. Aber gute Leute gibt es in Europa. Man muss sie jetzt fördern statt behindern, dann kann das was werden.

    Aber wehe, wenn nicht.

  2. DH

    Perfekt waren die westlichen Werte nie aber man hatte früher das Gefühl einer gewissen Entwicklungsfähigkeit die uns jetzt abhanden gekommen ist.
    Zustimmung zum Zusammenhang zwischen innerem Allgemeinwohl und äußerer Macht, einflußreiche Kulturen haben sich immer auch auf Gewalt gegründet, aber nie ausschließlich und noch nichtmal überwiegend.
    Den Römern wird heute, passend zum Zeitgeist, gerne unterstellt ihre Macht hätte sich nur auf ihre Legionen gegründet, was aber nicht zu deren meist überschaubarer Größe passt. Die eigentliche Überzeugungskraft ging von ihrer Idee einer neuen Zivilisation aus, nicht perfekt aber entwicklungsfähig.
    Als sie diese Idee verloren und sich auf die miese Behandlung der unteren Schichten einließen, gepaart mit kulturellem (christlichem) Fanatismus, war ihr Schicksal besiegelt.
    Wer da Parallelen sieht zu heute, liegt goldrichtig.

  3. Andreas Bartholomäus

    Das ist ja mal interessant mit der bayrischen Landesverfassung. Ich habe erst neulich mal wieder einen Textwerk zusammengefasst was dazu sehr gut passt.

    Psychomentale Belastungen müssen nach dem Arbeitsschutzgesetz in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden. Die Gefährdungsbeurteilungen psychomentale Belastungen, die von Arbeitsprozessen und Arbeitsumgebungen ausgehen. Zu krank machenden Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzstrukturen gehören u. a.: Arbeitsverdichtung, Zeit-, Konkurrenz- und Leistungsdruck, hohe Anforderungen bei geringem Einfluss auf den Arbeitsprozess, mangelnde Anerkennung durch Vorgesetzte, fehlende Gratifikation, Überforderung durch permanente Veränderungen („Flexibilität“), kontinuierliche Überwachung und Kontrolle, unzureichende Entlohnung, prekäre Arbeitssituation bei Leiharbeit, Minijobs und „Aufstockern“, befristete Arbeitsverträge, Angst vor Arbeitsplatzverlust, ungewisse Lebensplanung bei fehlender Existenzsicherung, Doppelbelastung durch Beruf, Familie und Pflege, Entgrenzung der Arbeit wegen ständiger Erreichbarkeit über Handy und E-Mail, Nacht- und Schichtarbeit, ungenügende Erholungsmöglichkeiten mit zu wenig Zeit für Familie und soziale Kontakte, Mobbing, Zwang zur Selbständigkeit ohne existenzsicherndes Einkommen und Selbstausbeutung.

    Die jährlichen Berichte an den Bundestag zum Berufskrankheitengeschehen zeigen, dass der Anteil der psychischen Belastungen unter allen gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz zunimmt. Nach Mitteilungen der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hatte die Anzahl der durch psychische Erkrankungen verursachten Fehltage im Jahr 2001 einen Anteil von 6,6 % an allen krankheits- und unfallbedingten Tagen in diesem Jahr. Im Jahr 2002 betrug der Anteil 7,0 %, in 2003 9,7 %, in den Jahren 2004 und 2005 lag er bei 10,5 %. Ein Anteil von 10,6 % wurde im Jahr 2006 erreicht. 2010 wurden 12,5% aller betrieblichen Fehltage durch psychische Erkrankungen verursacht. Jahr 2014 waren es 14,4%, 2016 kam auf 17%, 2020 waren es 19%, 2021 21,8% der Gesamtfehlzeiten und 2023 ein weiterer Anstieg um 7,4%!

    Am 1. Januar 2003 hob der damalige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement, im Zuge der Agenda 2010 zum Zwecke der „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ mehrere gesetzliche Rahmenbedingungen für die Zeitarbeit aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ersatzlos auf. In einem Ausgleich für die Abschaffung der Beschränkung der Höchstüberlassungsdauer, des Befristungsverbotes, des Wiedereinstellungsverbotes und des Synchronisationsverbotes wurde ein neuer Gleichbehandlungsgrundsatz eingeführt. Mit diesem sollten Zeitarbeitnehmer den Stammarbeitnehmern hinsichtlich Lohn, Urlaub und Arbeitszeit (sog. Equal Pay und Equal Treatment) formal gleichgestellt werden. Der Minister Wolfgang Clement verzichtete dabei aber auf eine gesetzlich unverrückbare Festschreibung und ergänzte den Gesetzestext mit der einschränkenden Formulierung „Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen“. Am 24. Februar 2003 wurde dann durch die Tarifgemeinschaft CGZP der erste abweichende bundesweite Flächentarifvertrag für Zeitarbeitsunternehmen mit der Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen (INZ) abgeschlossen. Das Lohnniveau lag um 40 % unter dem, was der Bundesverband Zeitarbeit BZA mit dem DGB bereits ausgehandelt hatte. Daraufhin unterzeichnete der BZA die Vereinbarung nicht, sondern handelte in der Folge mit dem DGB Tariflöhne aus, die in der untersten Lohngruppe um ein Drittel niedriger lagen als der gesetzliche Mindestlohn im Bauhauptgewerbe. Damit wurden Niedriglöhne in der Zeitarbeitsbranche etabliert und die Unternehmen begannen, die Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr nur zum Abfedern von Auftragsspitzen zu nutzen, sondern Stammpersonal zu entlassen und Leiharbeiter dauerhaft zu beschäftigen. Auch die Anreize, betriebsbedingt entlassenes Personal bei erneutem Mitarbeiterbedarf nicht direkt, sondern nur als Leiharbeiter wieder einzustellen („Drehtüreffekt“), nahmen zu. Nachdem die Anzahl der Zeitarbeiter seit 2000 nahezu unverändert gewesen war, verdreifachte sie sich zwischen 2003 und 2011 nahezu. Peter Hartz selbst war ebenso unzufrieden mit der Umsetzung der Hartz-Reformen und meinte: „Nicht überall wo Hartz drauf steht, ist auch Hartz drin.“ In dem 2007 erschienenen Buch „Macht und Ohnmacht“ stellte Hartz fest: „Herausgekommen ist ein System, mit dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden.“

    Prekariat ist die Bezeichnung der Soziologie für eine Gruppierung, die durch Unsicherheit im Hinblick auf die Art der Erwerbstätigkeit ihrer Mitglieder gekennzeichnet ist. Die Bewertung dieser Unsicherheit als prekär akzentuiert den Aspekt, dass Lebensverhältnisse schwierig sind, bedroht werden oder zum sozialen Abstieg führen können. Mit dem Begriff Prekariat werden Gruppierungen bezeichnet, die aufgrund ihrer Lebensumstände sozial abgestiegen sind bzw. von sozialem Abstieg und von Ausgrenzung bedroht sind. Gefühlte Prekarisierung: Schon Georg Simmel erkannte, dass es für die Zugehörigkeit zu den „Armen“ keine objektiven Referenzwerte gibt. Armut misst sich an schichtspezifischen Erwartungshorizonten, in einer prekarisierten Situation sieht sich heute oft jemand, der eine Verschlechterung seiner Situation feststellt oder auch nur befürchtet. Dafür muss die Beschäftigungslage keinesfalls prekär sein; es kann sich auch um eine nur relative Verschlechterung der Einkommenssituation handeln. Eine verunsicherte Mittelschicht sorgt sich besonders um den Erhalt ihres Status und neigt zu Abstiegs- und Prekarisierungsängsten. Prekarisierung als Herrschaftsmechanismus: Pierre Bourdieu hat darauf hingewiesen, dass Prekarisierung als Strategie der Verbreitung von Unsicherheit und Verhinderung der Zukunft ein Herrschaftsmechanismus ist, der Handlungsfähigkeit zerstört und dazu führt, dass etablierte und angestrebte Normen der Lebensführung als nicht mehr erlebbar erfahren werden. Dies erzeugt die Furcht vor Stigmatisierung und Abwertung durch andere bzw. die Selbststigmatisierung und freiwillige Kontaktreduktion (siehe Stigmatisierung u. soziale Isolation von Hart4 Empfängen), die zur weiteren Vereinzelung der Individuen führt. Gleichzeitig besteht die über die Wohnungsmarkt oder über Eingriffe von Behörden, die die Wohnraumbewirtschaftung regulieren, vermittelte Tendenz, dass Menschen in prekären Lebenslagen sozialräumlich segregiert und kontrolliert werden. Der Schweizer Gewerkschafter Alessandro Pelizzari, der den jeweiligen individuellen Umgang mit der Unsicherheit prekär Beschäftigter untersucht hat, legt ebenfalls vier Merkmale für prekäre Arbeitssituationen fest:

    -Geringe Arbeitsplatzsicherheit, die nur mit einem kurzfristigen Zeithorizont verbunden ist;
    -mangelnder Einfluss auf die Arbeitssituation und ausbleibende betriebliche Integration;
    -fehlender Schutz durch sozial- und arbeitsrechtliche Normen;
    -schwierige Existenzsicherung infolge eines niedrigen Einkommensniveaus.

    Diese vier Merkmale gelten generell für die große Zahl der Arbeitnehmerüberlassungen, die deswegen zum Prekariat gerechnet werden und deren Anzahl tendenziell steigend ist. Entwicklung von prekären und atypischen Beschäftigungsverhältnissen (Niedriglohnsektor), Leih-/Zeitarbeit: 2002 308.534 beschäftigte bis 2022 1.075.000 beschäftigte!
    http://www.destatis .de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/atyp-kernerwerb-erwerbsform-zr.html

    Dafür daß dieser Zusammenhang der Realität entspricht brauche Ich zumindest keine Studien oder ähnliches, aus persönlicher Erfahrung weiß ich das eine ungerechte strukturelle Unterbezahlung ein, aus der Perspektive der Psychosomatik, psychosozialer Belastungsfaktor darstellt, welcher als Dauerzustand zu einer Seelischen Erkrankung mit physiologisch korrelierten Symptomen wie Schlafstörungen führt. Kein Wunder also das solche Krankheitsbilder „Hochkonjunktur beim real inneren abgewerteten Exportweltmeister“ feiern, wo doch jeder 4. Arbeitsplatz in der prekären Beschäftigt liegt. Und was sagen Politik und Arbeitsverbände dazu?:

    Das Bundesarbeitsministerium stellte 2008 die Notwendigkeit, mit arbeitsmedizinischer Vorsorge auch psychischen Störungen vorzubeugen, in einen Zusammenhang mit Veränderungen der Lebensarbeitszeit: „Die Veränderungen in der Arbeitswelt bringen für die Beschäftigten neue Belastungen und Beanspruchungen mit sich. Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Erkrankungen nehmen zu. Gleichzeitig erfordert die demografische Entwicklung eine deutliche Verlängerung der Lebensarbeitszeiten.“

    Positionspapier Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 2012: Die Hauptangriffspunkte sind im Fazit des Papiers zusammengefasst. Die „Komplexität“ und das „Facettenreichtum“ erschwere Gefährdungsbeurteilungen, die nach Ansicht der Arbeitgebervereinigung auch nur dann notwendig seien, wenn konkrete Gefährdungen vorlägen. Die Kompetenz für den Arbeitsschutz läge vorwiegend in der Hand der Arbeitgeber, die Kompetenz von Behörden, Krankenkassen und Gewerkschaften wird teilweise in Frage gestellt. Psychische Belastungen haben positive und in „Einzelfällen“ negative Auswirkungen. Die Zunahme psychischer Belastungen wird bezweifelt, denn die Fortschritte im Bereich anderer Gefährdungen führe zu mehr Aufmerksamkeit für psychische Belastungen. Der Frage, ob die „massive Zunahme der Arbeitsunfähigkeitsfälle in der Kategorie ‚Psychische und Verhaltensstörungen‘ in relativ kurzer Zeit“ nur ein „Artefakt“ sei wurde nach einer Expertenbefragung von der DAK beantwortet: „Die Mehrheit der Fachleute kommt zu dem Schluss, dass es tatsächlich mehr Fälle gibt. Für wichtig halten sie aber auch, dass psychische Erkrankungen von den Hausärzten häufiger entdeckt bzw. richtig diagnostiziert werden.“

    Jaja ist klar, Wie wäre es damit gewesen, garnicht erst ein Sozialleistungs- und Arbeitsumfeld zu schaffen welches psychische Störungen hervorbringt oder bei ersten Anzeichen eines sinkenden Gesundsheits- wie Allgemeinwohls bei diesen neusten Anlauf zum „Wohlstand der Nationen“ radikal gegen zu reagieren? Seit dem Frühkapitalismus immer wieder der selbe Wirtschaftspolitische Unsinn! Hat es etwa nicht gereicht das Heinrich von Brünings Notstandsverordnungs Deflationspolitik ab 1930 den Radikalen Parteien die Wählerschaft in die Arme getrieben hat? Offensichtlich nicht, man blickt ja nicht mal dass die aktuelle Wirtschaftskrise schon 2017 begonnen hat.
    https://www.exploring-economics.org/de/entdecken/am-wendepunkt-die-krise-des-deutschen-exportsmodells/

    Aristoteles argumentierte in „Politik“ das gute Politik solche ist welche das Allgemeinwohl fördere und schlechte die nur um den Politikwillen gemacht wird und außerdem, die schlechteste Staatsform ist die Demokratie in ihrer extremsten Form „wenn die Armen über die Reichen“ herrschen, womit Aristoteles auf keinen Fall die finanzielle Situation meinte. Der gute Mann hat nach wie vor Recht.

    lg

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