Man hört es immer wieder: Unser Gesundheitswesen sei teuer, aber ineffektiv. Wie ein Mantra findet sich diese Verbindung in Begründungen dafür, dass sich im deutschen Gesundheitswesen etwas ändern müsse. Dass sich etwas ändern muss, kann man natürlich unbesehen bejahen. Es gibt viele Baustellen, von der Krankenhausreform über die bis heute nicht überwundenen Sektorengrenzen bis hin zur Pflege. Es muss sich etwas ändern, keine Frage.
Aber was hat es mit dieser Begründung auf sich? Die Lebenserwartung, da sind sich die Gesundheitswissenschaften eigentlich einig, wird vor allem durch den Lebensalltag bestimmt, die sozioökonomischen Verhältnisse und in Abhängigkeit davon vom Lebensstil. Das Gesundheitswesen spielt eher eine nachrangige Rolle. Das bedeutet umgekehrt: Die Lebenserwartung ist kein Outcome, das besonders sensibel auf Veränderungen im Gesundheitswesen reagiert, sie ist kein guter Indikator für die Qualität des Gesundheitswesens.
Diese lässt sich besser an anderen Indikatoren ablesen, z.B. den nosokomialen Infektionen, Behandlungsfehlern, ambulant sensitiven Krankenhausfällen, Arzneimittelverordnungen ohne Wirksamkeitsnachweis, medizinisch nicht indizierten Kaiserschnitten, regionalen Unterschieden bei bestimmten Behandlungen wie z.B. Mandeloperationen oder auch kurativ vermeidbaren Sterbefällen. Zu all diesen Dingen gibt es Daten.
Aber die Gegenüberstellung von Gesundheitsausgaben und Lebenserwartung hat etwas Suggestives. In den genannten Begründungen wird meist der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt angeführt und da nimmt Deutschland in den Eurostat-Daten in der Tat einen Spitzenplatz ein:
Bei der Lebenserwartung liegt Deutschland dagegen, vielzitiert, nur im Durchschnitt:
Vor ein paar Tagen hatte ich einen Vortrag der früheren Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Claudia Schmidtke, gehört. Sie verwies anhand solcher Daten auf Luxemburg als Vorbild, das mit viel weniger Gesundheitsausgaben viel mehr Lebenserwartung bewirke.
Beim Stichwort Luxemburg sollte man allerdings immer hellhörig werden. Luxemburg ist ein Land mit einem ungewöhnlich hohen BIP. Und siehe da, nimmt man als Bezugsgröße für den internationalen Vergleich der Gesundheitsausgaben nicht deren Anteil am BIP, sondern die Pro-Kopf-Ausgaben, sieht das Bild ganz anders aus:
Jetzt hat Luxemburg nicht mehr die niedrigsten Ausgaben, sondern die höchsten. Ist sein Gesundheitswesen somit doch nicht so gut? Auch Irland wechselt übrigens deutlich die Position bei den Ausgaben. Wenn man über den potentiellen Einfluss des Gesundheitswesens auf die Gesundheit der Menschen nachdenkt, wären die Pro-Kopf-Ausgaben vielleicht ohnehin die bessere Bezugsbasis, sie lassen sich etwas besser als die Leistung interpretieren, die bei den Menschen ankommt.
Aber das ist letztlich gesundheitsökonomische Kaffeesatzleserei und macht unser Gesundheitswesen nicht effizienter oder patientenfreundlicher. Jedenfalls sollte man angesichts solcher Daten etwas vorsichtiger mit dem Narrativ sein, unser Gesundheitswesen sei gemessen an der Lebenserwartung zu teuer. Vielleicht ist die Lebenserwartung in Deutschland ja nur Mittelmaß, weil hier immer noch so viele Menschen rauchen, der Alkoholkonsum recht hoch ist, die Menschen zu viel ökonomische Unsicherheit ertragen müssen, zu viel Stress am Arbeitsplatz oder zu viele Umweltschadstoffe?
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